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Zu seinen Lebzeiten wurde der Psychiater Roland Kuhn als Entdecker des ersten Antidepressivums geehrt. Heute, neun Jahre nach seinem Tod, kommt immer mehr über die Schattenseite seiner Forschung ans Licht. In der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen führte Kuhn ab 1950 bis Mitte der Siebzigerjahre an über 1600 Menschen klinische Tests durch. Dies unter ethisch fragwürdigen und wissenschaftlich zweifelhaften Bedingungen. Und vor allem – ohne Einwilligung der Patienten.

Der «Beobachter» berichtet in der aktuellen Ausgabe ausführlich über die Experimente von Roland Kuhn. Die Recherchen des Magazins belegen erstmals das Ausmass und die Methoden der Medikamentenversuche. Als «Krankengut» werden die Patienten in den Akten der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen bezeichnet. Belege darüber, dass sie über die Versuche informiert wurden, gibt es nicht. Im Bilde waren hingegen Behörden, Ärzte anderer Kliniken und die Pharmaindustrie in Basel. Für das Schicksal der Patienten, die oft unter Nebenwirkungen litten, interessierte sich niemand.

Auch Todesfälle wurden gemäss «Beobachter» nie untersucht. Den Akten zufolge seien zwischen 1954 und 1957 insgesamt 23 Personen bei den Testreihen der Tabletten G 22150 und G28568 gestorben. Es könnten noch weitere Todesfälle auf Kuhns Konto gehen. Formulare im Thurgauer Staatsarchiv belegen, dass der damalige Klinikleiter an vielen Patienten mehrere Substanzen gleichzeitig testete. Mehrere Versuche lösten einander nahtlos ab. Bei einzelnen Patienten war laut «Beobachter» direkt hinter dem Datum des Testabschlusses ein Totenkreuz gezeichnet – manchmal sogar das Todesdatum. Die Ursache wurde in keinem Fall genannt.

Quelle

Ein deutsches Sprichwort sagt: "Unter den Blinden ist der Einäugige König!" Aber dieses Sprichwort stimmt nicht: "Unter den Blinden kommt der Einäugige ins Irrenhaus!"

Heinz von Foerster
09.02.14, 19:09:54
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Die Betroffenheit war ihr anzusehen, als Simonetta Sommaruga am 11. April 2013 ans Mikrofon trat: «Für das Leid, das Ihnen angetan wurde, möchte ich mich im Namen der ganzen Landesregierung aufrichtig und von ganzem Herzen entschuldigen.» Diese Worte galten den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Jenen Menschen, die als Kind verdingt, zwangssterilisiert, grundlos eingesperrt oder zwangsmediziert wurden. Für die Betroffenen waren die Worte der Bundesrätin eine Genugtuung. Ein Zeichen, dass die Schweiz offiziell anerkennt, was man ihnen angetan hat.

[...]

Alfred Muggli und Alfred Stahel nehmen den verstorbenen Wissenschaftler in Schutz und fordern seine Rehabilitation. «Kuhn hat Substanzen getestet, die nicht gefährlich waren», sagt Muggli gegenüber der «Thurgauer Zeitung». Der ehemalige Hausarzt von Steckborn bezweifelt, dass die Medikamente noch Jahrzehnte später Folgen haben.

Sein Kollege Stahel geht noch weiter und möchte Kuhn nachträglich den Nobelpreis für seine Forschung verleihen. Die Medikamente, die aufgrund von Kuhns Forschung auf den Markt gekommen seien, seien ein Segen. Man müsse die Testreihen aus damaliger Sicht beurteilen.

Als Walter Emmisberger, als einer der seit Jahrzehnten an den Folgen der Zwangsmedikation leidet, diese Zeilen liest, ist er «geschockt». «Ich dachte, ich werde ohnmächtig», sagt er am Telefon. Der Fehraltorfer fühlt sich zurückversetzt in die Zeit seiner Kindheit. Damals, als er unterdrückt, vernachlässigt und missbraucht wurde. Damals, als sein Selbstvertrauen ausgelöscht wurde. Die Medizintests an Emmisberger sind in seinen Akten festgehalten. Auch die Dorfärzte waren wohl informiert. Der gesundheitliche Zustand des damaligen Buben liess keine Zweifel daran. Doch hinterfragt oder hingeschaut habe damals niemand, sagt Emmisberger. Und nun, Jahrzehnte später würden zwei Ärzte versuchen, ihre Gilde zu schützen.

Beim Bundesamt für Justiz in Bern reagiert man «schockiert» über die Worte der beiden Mediziner. «Die Äusserungen sind sehr ungeschickt und zeugen von wenig Empathie», sagt Luzius Mader, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Justiz, gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet. Der Bedarf der Untersuchungen über die Vergangenheit der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen, die der Kanton Thurgau vor kurzem eingeleitet hat, sei unbestritten.

Muggli und Stahel sind nicht die ersten, die mit fragwürdigen Aussagen über die Forschung von Kuhn für Kopfschütteln sorgen. Der Thurgauer Regierungsrat Kaspar Schläpfer sagte Ende Januar, man müsse auch den wissenschaftlichen Wert von Kuhns Forschung anerkennen. Wenig später entschuldigte sich Schläpfer für diesen Satz und bedauerte öffentlich, viele Menschen verletzt zu haben.

Quelle

Ein deutsches Sprichwort sagt: "Unter den Blinden ist der Einäugige König!" Aber dieses Sprichwort stimmt nicht: "Unter den Blinden kommt der Einäugige ins Irrenhaus!"

Heinz von Foerster
10.03.14, 23:38:09
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