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Prothese holt gehörlose Kinder aus der Welt der Stille
Sprechenlernen war für gehörlose Kinder früher kaum möglich. Die Innenohrprothese – ein kleines technisches Wunder – ermöglicht vielen heute ein Aufwachsen fast ohne Beeinträchtigung.
Vor der Operation war noch nicht einmal klar, ob Emin jemals sprechen lernen wird. Nach einer Odyssee von Arzt zu Arzt hatten die Experten an der Medizinischen Hochschule Hannover bei dem Einjährigen eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit festgestellt. Zudem stand der Verdacht Autismus im Raum. Neun Jahre später hat der Junge mit dem Kosenamen Mimo sieben Einsen auf dem Zeugnis, er schwimmt gern und spielt sogar Klavier. Seine Eltern wollen Mimos Geschichte erzählen, um anderen Betroffenen Mut zu machen.
Der Zehnjährige trägt auf beiden Seiten ein Cochlea-Implantat (CI). Die Innenohrprothese, die unter Vollnarkose eingesetzt wurde, wandelt Schallwellen in elektrische Impulse um. Die Chirurgen führten eine Elektrode in Mimos Hörschnecke (lateinisch: Cochlea) ein, welche die Aufgabe seiner defekten Haarzellen übernimmt. Bei der OP musste eine Vertiefung in den Schädelknochen gefräst und durch das Felsenbein gebohrt werden. Außen sichtbar sind das Mikrofon mit Sprachprozessor und die magnetisch am Kopf befestigte Sendespule, die Höreindrücke zum Implantat überträgt.
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Das Hören mit einem Implantat muss erlernt werden. „Das was wir einbauen, ist im Vergleich zu dem, was unser Ohr leistet, primitiv. 20 Elektrodenkontakte können nicht 20 000 Sinneszellen ersetzen“, sagt Prof. Thomas Lenarz, Direktor der HNO-Klinik und des Deutschen HörZentrums an der Medizinischen Hochschule Hannover, die zu den größten Implantat-Zentren weltweit gehört. Menschen, die zum Beispiel nach einem Unfall mit einem CI versorgt wurden und vorher normal hörten, beschreiben den Klang als metallisch oder Mickey-Mouse-artig.
Das Verständigungsmittel der rund 80 000 Gehörlosen in Deutschland ist die Gebärdensprache. Doch es gab Ärzte, die Kindern nach der Implantation untersagten, die Gebärdensprache zu benutzen. Derartige Verbote seien inzwischen als Fehler erkannt worden, sagt Prof. Anke Lesinski-Schiedat, Oberärztin der HNO-Klinik. „Heute wachsen die implantierten Kinder gehörloser Eltern zweisprachig auf und verständigen sich mit ihren Eltern in Gebärdensprache.“
Der Deutsche Gehörlosen-Bund rät weder zu einer Implantation, noch rät er davon ab. In jedem Fall sollten Eltern gehörloser Kinder vorher umfassend über Chancen und Risiken informiert werden, betont die Wissenschaftliche Referentin des Verbands, Bettina Herrmann. Die Förderung nach der OP sei einseitig auf das Hören ausgerichtet und ignoriere die Gebärdensprache, kritisiert der Verband.
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Etwa ein bis zwei Prozent aller Kinder kommen gehörlos zur Welt. Ist der Hörnerv intakt, kommt ein Cochlea Implantat infrage. 3000 dieser Prothesen werden jährlich bundesweit eingesetzt, etwa die Hälfte davon in den großen Zentren wie Hannover, Freiburg, Würzburg, Frankfurt und Kiel.
Aus Expertensicht ist es ideal, gehörlose Babys bereits zwischen dem 6. und 12. Lebensmonat zu operieren, damit die Hörbahnreifung und damit auch die Sprachentwicklung normal verlaufen. Je später dies geschieht, desto mehr muss aufgeholt werden. Das Gehirn stellt sich auf das Fehlen des Hörsinns ein und organisiert sich anders. Spätestens mit sieben Jahren schließt sich das Sprachfenster für immer. Viele hörgeschädigte Kinder kämpfen mit Lernproblemen. Es ist schwierig, Mathe zu begreifen, wenn die Worte fehlen.
1-2% der Kinder kommen gehörlos zur Welt, aber es gibt in Deutschland nur 80000 Gehörlose (= ca. 0,1% d. Bev.)? Ist das ein Omen für die Recherchequalität dieses Artikels?